herr pauli und der kebab

Müde von seinem ereignisarmen Arbeitstag im Büro machte sich Herr Pauli auf den Heimweg, den Feierabend einzuleiten.
Auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle überkam ihn plötzlich ein ausgeprägtes Hungergefühl. Sein Magen rumorte und verlangte sofort nach Nahrung. Der Schweiß schoss Herrn Pauli kalt aus den Poren, jeden Augenblick drohte er zu kollabieren. Zum Glück aber war die Rettung schon in Sichtweite.
Es trennte ihn eine Rotphase und das Überqueren einer Straße vom Döner-Imbiss «Izmir».
Mit letzter Kraft schleppte er sich ins Lokal. Mit zitternder Stimme hauchte er ein «mit allem» über die Theke.
«Mit scharf?», wollte der Verkäufer wissen.
Ein «Ja» brachte Herr Pauli jedoch nicht mehr über die Lippen, also bekam er «mit scharf».
Vor Hunger ächzend schleppte er sich an einen Tisch und begann die Alufolie vom Döner zu pulen.
Soeben wollte er genüsslich die Zähne in den Kebab schlagen, da ertönte ein schriller Hilferuf aus der mit Gemüse und Fleisch gefüllten Teigtasche.
«Nein! Nicht!», drang es erneut an Herrn Paulis Ohr.
Vor Schreck glitt ihm der Döner aus den Händen. Hatte er richtig gehört?
Außer ihm war keiner in dem Laden und der Verkäufer stand in einer Ecke und telefonierte lautstark.
War dies eine akustische Halluzination, verursacht durch akute Unterzuckerung?
Der Schreck ließ den Hunger kurz verfliegen.
Als sich Herr Pauli wieder gesammelt hatte, wagt er einen zweiten Versuch, endlich vom Döner einen Bissen zu nehmen.
Noch ehe er die Alufolienhülle des Kebab berühren konnte, gab der ein weiteres schrilles «Nein!» von sich.
«Nein, tu ‘s nicht!», befahl ihm der Döner.
Herr Pauli rieb sich die Augen. Es bestand kein Zweifel, sein Essen sprach mit ihm.
«Was?», fragte er den Döner ungläubig.
«Du sollst mich nicht essen! Kapierst du das jetzt mal?!», gab der Döner harsch zur Antwort.
Ungläubig glotzte Herr Pauli die Fladenbrottasche an.
«Mann, du bist echt Panne! Mir reichts jetzt! Bring mich lieber hier weg, der Ort ist mir zuwider!», befahl ihm der Döner.
Hunger spürte Herr Pauli nun nicht mehr. Verwirrt, wie er nun war, tat er umgehend, wie ihm geheißen.
Er verhüllte den Döner so gut es ging mit der zerrissenen Alufolie, steckte ihn sich vom Verkäufer unbemerkt in die Manteltasche und verließ den Dönerladen umgehend.
Den Heimweg legte Herr Pauli im Sprint zurück.
Zu Hause angekommen, legte er den Döner behutsam auf den Küchentisch und sprach ihn mit einem zaghaften «Hallo» an.
«Was Hallo?! Denkst du, ich schlafe?», bekam Herr Pauli zu hören.
«Willste mich hier so einfach aufm Küchentisch liegen lassen?! Mir is’ langweilig. Ich will fernsehen! Mach’ die Glotze an!», befahl er seinem Besitzer.
Und Herr Pauli tat, was der Döner es von ihm verlangte.
Er platzierte ihn auf dem Sofa und schaltete das gewünschte TV-Programm ein.
Zuerst wollte er Nachrichten sehen, dann folgten einige Stunden Abendprogramm, darunter anderthalb Krimis und kurz nach Mitternacht ein weiteres Mal Nachrichten.
Bis zum Frühstücksfernsehen hielt der griesgrämige Kebab durch, dann schlief er ein.
Herr Pauli hatte die ganze Nacht kein Auge zu gemacht. Voller Angst hatte er dem Imbiss beim Fernsehgucken zugesehen. Nun war aus der Alufolie ein sanftes Schnarchen zu vernehmen.
Sogleich kam er zu dem Entschluss, dass mit seinem Verstand etwas nicht stimmen musste.
Vorsichtig nahm er den Döner vom Sofa und begab sich mit ihm zu seinem Hausarzt.
Der Mediziner erkannte den Ernst der Lage und zitierte Herrn Pauli umgehend in sein Sprechzimmer.
Aufmerksam lauschte der Doktor den Ausführungen seines Patienten nicht ohne ab und an eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen.
Noch ehe Herr Pauli zu Ende gesprochen hatte, erhob sich der Arzt von seinem Stuhl, machte mit der Hand eine Kreisbewegung, um dem Patienten zu verdeutlichen, er solle weiterreden und schritt zu einer Stehlampe in der Ecke seines Sprechzimmers.
Als Herr Pauli fertig geschildert hatte, zog er den noch immer leisen schnarchenden Kebab aus seiner Manteltasche.
«Hier, Herr Doktor, sehen Sie selbst!», flehte Herr Pauli seinen Hausarzt an.
Der zog ein weiteres Mal die Augenbraue in die Höhe, wandte sich dem Lampenschirm zu und sprach: «Haste gehört, Egon?! Schon wieder einer, der meint, sein Essen würde mit ihm reden».

One thought on “herr pauli und der kebab”

  1. Great story, in style of Gogol‘s novel (the God of руска литература) The Nose . Bravo!

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