der helm

Kennen Sie Menschen, die ohne Helm Fahrrad fahren? Ich bin so einer, oder besser gesagt, ich war so einer. Dabei gab es für mich nie einen besonderen Grund, warum ich keinen Helm trug oder tragen wollte. Weder weil mir meine Frisur zu schade war, noch war mir das Ding auf dem Kopp peinlich. Auch war mir es im Grunde einerlei, ob man unter dem Helm nun schwitzte oder nicht. Weil ich ja nie einen Helm gehabt habe, konnte ich zum Thema Komfort nie Erfahrungen sammeln.
Neuerdings sieht man mich auf dem Rad aber nur noch mit Schutzhelm. Ich trage ständig einen. Und zwar aus Angst.
Nicht etwa, weil ich gestürzt bin und dem Tod nur knapp entkommen konnte, oder weil ich Zeuge eines fürchterlichen Fahrradunfalls wurde. Nein, nein, der wahre Grund ist viel schrecklicher!
Doch was war geschehen? Wie kam es zu meinem Sinneswandel?
Ich werde es Ihnen verraten.
Vor ein paar Wochen trug es sich zu, dass ich mein Fahrrad über den Bürgersteig schob. In meiner linken Hand hielt ich einen Blumenstrauß, der als Präsent für eine ganz bestimmte Frau galt. Der Strauß war recht pompös und als ich versucht hatte mit ihm in der Hand den Lenker zu bedienen, musste ich feststellen, dass Schieben schneller und sicherer war. Das störte mich nicht weiter, da mein Zielort in der Nähe gelegen war, nur ein paar Gehminuten entfernt quasi.
In der rechten Hand hielt ich also die Blumen, mit der linken schob ich das Rad.
Ohne, dass ich es bemerkt hatte, war mir eine Dame im mittleren Alter gefolgt. Sie näherte sich schnell und als sie kurz davor war in den Hinterreifen meines Fahrrads zu latschen, zog ich meinen Drahtesel an mich, um ihr genügend Platz zu gewähren, damit sie an mir vorbeigehen konnte.
Doch sie ging nicht vorbei.
Ich hatte Mühe, mich auf das Halten der Blumen und des Fahrrads zu konzentrieren und schenkte ihrer Aufdringlichkeit keine große Beachtung.
Bis wir beide an einer Ampel zum Stehen kamen, weil diese gerade auf rot gesprungen war.
Aus dem Augenwinkel stellte ich fest, wie sie mich mit samt meinem Fortbewegungsmittel musterte, intensiv musterte.
„Sie tragen wohl keinen Helm?“, tönte es aus ihrem ihren schmalen Lippen.
„Äh, was meinen Sie bitte?“, war alles, was mir spontan einfiel.
„Einen Fahrradhelm! Brauchen Sie nicht, was?!“, erwiderte sie sogleich.
„Äh, nein, äh … Ich hab keinen.“, versuchte ich zu bestätigen, was sie bereits selber festgestellt hatte.
„Sie wissen schon, dass das ziemlich unverantwortlich ist, das Ihr Verhalten sehr egoistisch ist!“
Ich war geschockt. Egoistisch? Wie kam sie denn darauf?
„Wieso denn gleich egoistisch?“, wollte ich von ihr wissen.
„Na wenn Sie jetzt einen Unfall mit einem Auto oder Ähnlichem fabrizieren und sterben, weil Sie keinen Helm getragen haben, dann macht der andere sich vielleicht sein Leben lang Vorwürfe. Schon mal drüber nachgedacht?“, krächzte sie mich an und verschränkte dabei die Arme.
Ehrlich gesagt, habe ich noch nie darüber nachgedacht, dass, wenn ich keinen Helm trage und in einen Unfall mit einem Automobil verwickelt bin und sterbe, weil ich keinen Helm trage, dann der andere bis ans Ende seiner Tage von Vorwürfen und Schuldgefühlen geplagt werden würde. Das gab mir zu denken.
„Und was ist, wenn ich einen Helm trage und trotzdem sterbe? Macht der andere sich dann weniger Vorwürfe?“, diese Frage hatte mich wirklich interessiert, führte aber nicht zu einer konstruktiven Diskussion über Schuld und Schuldgefühl, sondern löste eine Art Zorn in der Dame neben mir aus.
„Und das alleine reicht für Sie als Entschuldigung keinen Helm zu tragen? Menschen wie Sie, mit einer derartigen Verantwortungslosigkeit sind ja wirklich das Allerletzte!“, brüllte Sie mir entgegen, sodass die Fußgänger im Umkreis von 50 Metern zu uns herüberblickten.
„Jetzt regen Sie sich doch nicht gleich so auf! Ich habe nun mal keinen Fahrradhelm, ohne besonderen Grund. Und außerdem schiebe ich doch im Moment mein Fahrrad und brauche deshalb sowieso keinen …“, versuchte ich mich zu verteidigen.
„So eine Frechheit! Kommen Sie mir nicht mit solchen Ausreden! Stellen Sie sich doch nur mal vor, Sie wären so von ein paar Kindern gesehen worden? Ohne Helm? Sie, ein Erwachsener, der Vorbild sein sollte? Sagen Sie mal, schämen Sie sich denn überhaupt nicht? !“, sie war vollends in Rage. Was sollte ich ihr antworten? Warum wollte die Ampel nicht auf Grün schalten? Sollte ich ihr den Strauß um die Ohren schlagen, mich aufs Rad schwingen und schnell das Weite suchen?
„Ich glaube, ein jeder sollte selbst Verantwortung für sein Handeln tragen.“, gab ich bekannt, um die Situation ein wenig zu entschärfen.
„Verantwortung?! Jetzt reicht es mir aber mit Ihnen!“, brüllte Sie erneut und ohne Vorwarnung hob sie ihre knöchrigen Hände in die Luft, um sie kurz darauf auf meinen Schädel eintrommeln zu lassen.
Ich wusste nicht, wie mir geschah, damit hatte ich gerechnet. Sie bearbeitete meinen Kopf und meinen Rücken und verwandelte den Blumenstrauß in ein florales Geschnetzeltes, als ich ihn schützend vor mein Gesicht halten wollte.
Ihre Schläge taten nicht besonders weh, doch ließ mich dieser spontane Gewaltausbruch wie paralysiert zu Boden gleiten.
Als die Ampel endlich auf grün stand, ließ sie von mir ab, richtete ihre Bluse und sprach: „Ich hoffe, das ist Ihnen eine Lehre gewesen! Ohne Helm, so was von unverantwortlich!“
Der Blumenstrauß war hinüber und ich stand unter Schock. Die Leute ringsum schauten zu mir herüber, einige schüttelten die Köpfe. Aus irgendeinem Grunde war mir das Geschehene peinlich. Ich fühlte mich schuldig, so, als hätte die Frau nur das Richtige getan, weil ich ja keinen Helm getragen hatte …
Ich wollte nur noch heim. Jetzt hatte ich wieder beide Hände frei und konnte eigentlich Rad fahren.
Doch ohne Helm traute ich es mir nicht mehr.

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