der lüsterne rabe

Wer hat den Raben ans Fenster geklebt?
Sitz dort und tut so, als ob er lebt.

Aus Plaste ist sein schwarzer Leib,
guckt geradeaus zum Zeitvertreib.

Doch dann und wann regt sich ein Blitzen
am Ort, wo seine Augen sitzen.

Tauben sind ihm ganz egah,
er will mich sehen im Pyjama.

Bericht aus dem Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn»

Anlässlich der kürzlich ausgetragenen Bundestagswahl habe ich mich auf die Reise in meinen ehemaligen Heimatrayon begeben, um mir ein Bild der aktuellen Situation zu machen.

In den Medien und der gemeingültigen Meinung kommt meine Heimat eher schlecht weg und wer hier wohnt, oder aufgewachsen ist, der weiss warum. Unschöne Stereotypen haften am Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» und eins darf ich Ihnen vorab bestätigen, sie sind alle wahr!

An einem sonnigen Samstagnachmittag im Herbst, machte ich mich auf den Weg, das Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» zu besuchen und die Bewohner dieses Zentrums nach ihren Befindlichkeiten zu befragen.

Gleich zu Beginn drohte mein Projekt jedoch zu scheitern, denn ich stand vor verschlossenen Zentrumstüren. Zu! Geschlossen! Und warum? Weil das Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» am Wochenende immer geschlossen ist.

Schade. Dann eben schnell das Gebäude von aussen inspiziert. Und natürlich ein Erinnerungsfoto gemacht.

Gerade als ich im Inbegriff war das Gelände zu verlassen, sprang ein Männlein aus einem Gebüsch neben dem Gehweg.

Ich erschrak und alterte um einige Jahrzehnte. Noch ehe ich etwas sagen konnte, stellte sich das Männlein vor. Sein Name war Mürgoh (Mirko) und er war bei den «Schwarzen» und ausserdem war er Ostbeauftragter und der Verwalter vom Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn». Er beklagte sich lang und breit, wie schlimm es sei, dass die Vorherrschaft der «Schwarzen» von den «Blauen» übernommen wurde und er sein geliebtes Zentrum nun bald an einen «Blauen» abgeben musste.

Nach seiner Meinung lag das alles an den Bewohnern vom Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn», denn die waren zu blöd, um zu begreifen, worum es bei Wahlen geht, nämlich die «Schwarzen» zu wählen.

Schaumiger Speichel sammelte sich an Mürgohs Mundwinkeln, als er in Rage versetzt berichtet, welchen schlimmen Fehler die Menschen mit ihrer Wahl begannen haben. «Rassismus und Lohndumping, das haben nicht die «Blauen» erfunden. Nein! Das war unsere Spezialität! Und das seit über 30 Jahren! Dafür hat man uns gewählt und jetzt?!», Mürgoh bricht in Tränen aus.

Ich frage ihn, ob nicht die «Schwarzen» 30 Jahre darauf hingearbeitet haben, dass irgendwann mal eine Gruppierung wie die «Blauen» an die Macht kommt.

«Natürlich, aber schauen Sie nur: früher waren die Nazis noch Nazis. Die «Braunen» zum Beispiel, die ja auch mal im Landtag vom Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» waren. Die waren den meisten unserer Bewohner jedoch zu radikal, eigentlich ok, aber doch zu radikal. Da schämte man sich noch, dass man sie in gewählt hatte. Das ist bei den «Blauen» anders, die behaupten ja von sich sie seinen Demokraten, nur etwas patriotischer und faschistischer als ich zum Beispiel.»

Mürgoh schnäuzt lautstark in ein Stofftaschentuch mit Sandmann- (Ost) Motiv.

Auf die Frage, ob die verlorene Wahl auch mit der von Mürgoh getätigten Aussage, die Bewohner vom Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» seien nicht in der Lage die Komplexität des demokratischen Gesellschaftssystems zu begreifen, weil sie die falschen Faschisten wählen, im Zusammenhang steht, verweigert er die Antwort. Hastig nimmt er Abschied und erklärt noch kurz vor seinem Verschwinden, dass er noch «’ne Roster wenden» müsse.

Sollte ich mir Sorgen machen müssen, um mein geliebtes Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn»?!

 Ein Bild aus besseren Tagen. Mürgoh mit seinem Kumpel Micha K. beim Sonntagsausflug auf dem Mifa-Tandemrad.

Um auf andere Gedanken zu kommen, entscheide ich mich, eine Runde mit der Pioniereisenbahn zu drehen.

Diese Kindereisenbahn fährt einmal um das gesamte Hoheitsgebiet des Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» herum und soll die gesamte Schönheit der Region offenbaren.

Schnell ein Ticket gelöst und rauf auf den offenen Viehwagen. Dicht an dicht reihen sich die engen Wagons und man kommt leicht in den Genuss, die Gespräche der anderen Fahrgäste mitzuhören.

Ein beliebtes Thema scheint die Maskenpflicht zu sein, die im Zug herrscht. Maskenpflicht heisst hier offiziell Maskenzwang.

Ich erlebe, wie das mittelalte Paar hinter mir in Streit gerät, weil er seine Maske aufbehalten möchte. Die vielfältigen Argumente seiner Partnerin machen mich beschwipst. Doch bevor ich komplett in das Streitgespräch der beiden versinke, werden wir in schwarzen Rauch gehüllt.

 

“Könntsch vleischt ma Ihrn Wahlzettl ham?” Ein völkischer Beobachter geht seinem Tagwerk nach.

Schwarzer Rauch steigt aus der Lok auf, ganz zur Freude der Fahrgäste.

Die alte Dampflok bläst dicke Schwaden aus der Esse und vernebelte das gesamte Areal des Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn». Mir wurde sofort klar, dies war ein politisches Statement der «Blauen», die fest davon überzeugt waren, dass es einen von Menschen verursachten Klimawahn gab. Und dieser Wahn liess sich nur durch schwarzen Rauch wegpusten.

Die Bewohner des Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» begrüssten die Aktion. Ausserdem kannten die meisten Bewohner verpestete Luft noch aus ihrer eigenen Kindheit. Kohlen in die Wohnung schleppen und das Einatmen von Stickoxiden, machte mich zu dem, was ich heute bin. Väter rissen ihren Kindern die Masken ab, damit sich ihre juvenilen Lungen mit dem wertvollen Abgas füllen konnten. Mir wurde übel.

Kurz bevor ich meine Roster mit Bautz’ner Senf ausspeien konnte, setzte sich der Zug in Bewegung. Im Schneckentempo zogen karge Landschaften an meinen rauchgeröteten Augen vorbei. Wald, Wald und eine ganze Menge Bäume, die in unterschiedlicher Reihenfolge aus der vaterländischen, braunen Erde ragten. Waren das die blühenden Landschaften, an die man die Bewohner vom Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» so lange hat glauben lassen? Es schien so.

Nach einigen Stunden gleichförmigen Geruckels, zog die Pioniereisenbahn, immer noch qualvoll dampfend, an einem menschenleeren Tennisplatz vorbei. Ich musste schmunzeln und hegte den gehässigen Gedanken, dass hier wohl ein Investor aus dem Westen ein vielversprechendes Projekt gestartet hatte, was jetzt ungenutzt als Sports-Facility-Brache vor sich hinvegetierte.

“Tennisplatz? Was solln mir mit so’n neumohdschn Gelumbe!”

Meine Schadenfreude wurde jedoch bald getrübt, als ich bemerkte, wie ich von einer mir nicht bekannten Person, welche am Rande der Schienen den Zug beobachtet hatte, gefilmt wurde. Ins Gesicht gefilmt, direkt, frontal, das durfte sie nicht. Ihr war wohl nicht klar, dass sie soeben eine Straftat begangen hatte. Ein kurzer Anruf bei der Polizei und die Sache war geritzt. Wie ich später in Erfahrung bringen konnte, bekam die Frau 12 Jahre Lagerhaft, sowas war hier ganz normal.

“Ins Gesicht gefilmt? Sie gomm jetz mit zur Bohlidsai!”

Plötzlich lichtete sich der Wald und wir sahen das Wahrzeichen des Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» vor uns aufblitzen, eine riesige Blechrakete. Wir alle, die wir in der Pionierbahn sassen, wurden ein wenig sentimental. Gespräche stellten sich ein, sogar der Maskenzwist verstummte. Lediglich das elendige Dampfen der Lokomotive war zu hören und dann und wann ein Schluchzen oder eine Träne, die zu Boden fiel.

Von Sigmund Jähn konstruierter Prototyp “Kosmoscruiser-Fritz Heckert II”

Eine Rakete aus Blech lies die Bewohner vom Kosmonautenzentrum «Sigmund Jähn» in Erinnerungen schwelgen, Erinnerungen an eine bessere Zeit. Eine Zeit, die nie wieder kommen würde, dafür wollten die «Blauen» schon sorgen. Obwohl die «Schwarzen» auch schon seit vielen Jahren dafür gesorgt hatten, aber egal.

Die Eisenbahn fuhr wieder in den Bahnhof ein, das Qualmen wurde eingestellt und die Fahrgäste setzten wieder ihre Masken auf, oder ab, oder stritten darüber, was mit den Masken zu tun war. Mir war das egal, ich wollte nur noch hier weg! Zurück in mein Exil, mit ‘ner Träne im Knopfloch.

Erinnerung an eine Fahrt mit der Pioniereisenbahn: “Dieses Fohdo kann mir keine Treuhand nicht wegneehm!”