Tauben. Hühner. Menschen.

Tauben. Kennen Sie Tauben? Natürlich kennen Sie Tauben. Im urbanen Raum treffen wir sie häufig auf Marktplätzen, vor dem Bahnhof, in der Fußgängerzone oder dem Kirchenvorplatz. Wo sich Menschen in größerer Zahl aufhalten, halten sich auch Tauben auf. Und das aus gutem Grund!
Aber dazu später.
Tauben sind Tiere, deren Schicksal eng mit dem der Menschen in Verbindung steht. Ähnlich wie Hühner zum Beispiel. Beide Vögel sind Tiere, die der Mensch für seine Zwecke domestizierte. Wobei das Huhn mit deutlich größerem, vor allem kommerziellen Erfolg zum Haustier umgewandelt wurde. Auch die wilde Taube wurde einst zu einer Haustaube transformiert, doch ist die Haustaube in ihrer Zahl den Hühnern stark unterlegen.
Und noch einen besonderen Unterschied gibt es zwischen den zwei domestizierten Vogelarten. Haustauben sind weniger abhängig vom Menschen als Haushühner. Aus einer Haustaube kann leicht eine Stadttaube werden, die sich ein Nest baut und sich von dem ernähren kann, was die Stadt und ihre Bewohner ihr bieten. Aber ein Huhn? Haben Sie schon mal ein Stadthuhn gesehen? Ein Huhn, kaum noch flugfähig, welches über den Bahnhofsvorplatz huscht und zwischen den Pflastersteinen nach Würmern scharrt? Sicher nicht. Hühner sind ohne den Menschen schutzlos. Der Mensch baut ihnen einen Stall, den er großzügig einzäunt, damit der Fuchs sie nicht klaut, und stellt ihnen etwas zu fressen hin. Das Haushuhn ist in der Wildnis und besonders in der Stadt nicht überlebensfähig. Die Taube hingegen schon. Die Stadt ist für sie der perfekte Lebensraum.
Sie hat sich die Fähigkeit erhalten, ein Nest bauen zu können. Die Stadt bietet ihnen unzählige Möglichkeiten, einen Rückzugsort zu finden, der ihnen Schutz bietet. Egal wie viele Drahtlatten mit spitzen Nägeln drauf man auch auf Fensterbänke und Dachvorsprünge schrauben mag. Tauben bauen sich Nester aus fast allem, was der Menschen Abfall und die karge städtische Flora ihnen bietet. Sie bauen Nester und wichtiger noch, sie pflanzen sich fort. Und warum? Weil es ihnen gut geht in der Stadt. Futter finden sie in Hülle und Fülle. Nicht nur, weil man ihnen trockenes Brot, Kekse oder ähnliches Knabberzeug zuwirft, sondern, weil sie in der Lage sind, den Stadtmüll zu verwerten.
Halbgegessene Döner, eine aufgeweichte Eiswaffel, der vegane Quinoasalat, der in der halbgeöffneten Plastikbox aus der Mülltonne lugt, ein wahrer Festschmaus für so ein Täubchen. Aber selbst wenn der Mensch keinen essbaren Müll mehr produzieren sollte, die Taube wird nicht verhungern.
Zur Not klaut sie bei den Enten das, was feiste Rentner ihnen vor die Schnäbel werfen. Egal wie intensiv Stadtverwaltungen auch darum bitten, Tauben nicht zu füttern, es wird sich immer ein menschliches Wesen finden, welches sich erbarmt und dem lieben Täublein eine olle Semmel in klein zerpflückter Form zur Mahlzeit gereicht.
Ein weiterer Vorteil, den das Leben in der Stadt einer verwilderten Haustaube bietet, ist die Tatsache, dass es hier kaum Fressfeinde gibt. Ihr einziger wahrer Feind ist der Mensch, dessen Verhältnis zu dem Vogel mit unter ambivalent ist. Auf der einen Seite gibt er ihr Futter, lockt sie auf seine Arme, um dann sein blödes Selfie zu machen, auf der anderen Seite schießt er mit dem Luftgewehr auf sie und macht ihr die Nistplätze mit Drahtspickern ungemütlich. Der Mensch an sich ist ein sehr ambivalentes Wesen, das ist halt so.
Hühner hingegen leben in ständiger und direkter Abhängigkeit von und mit dem Menschen. Für all die Zuwendung, welche sie tagein, tagaus vom Menschen bekommen, danken sie es ihm mit ihren Eiern und ihren fetten Schenkeln und Brüsten. Sie versklaven sich für ein scheinbar sicheres Leben mit ausreichend Futter und einem Herren, der sie vor wilden Tieren schützt, ohne zu wissen, dass eines Tages Schluss ist mit dem so bequemen irdischen Dasein. Das Huhn lässt sich schön brav züchten, damit es fleißig Eier legt, am besten viele Eier, um später dann in einer Suppe oder als Geflügelwurst auf dem Grill zu landen. Ein Hühnerleben ist ein fragwürdiges Unterfangen.
Hühner können dem Menschen nicht entkommen, denn sie wissen selber, dass sie ohne ihn keine zwei Tage überleben könnten. Also nehmen sie ein abhängiges Leben in Kauf, in der Hoffnung, nicht schon morgen geköpft, gerupft und zu einem Broiler gebraten zu werden. Traurig, fürwahr.
Und die Taube? Die genießt das Leben in der Stadt. Menschen denken, die Taube sei von ihnen abhängig, und das ist falsch. Wenn man ihr kein Futter zur Verfügung stellt, dann kann sie sich auf ihre tierischen Instinkte verlassen und sucht sich Insekten, Samen oder Körner. Natürlich kann man auch Tauben zur Fleischgewinnung oder wegen ihrer Eier züchten oder sie gar zur Brieftaube zweckentfremden, doch dass passiert nur selten. Wird es der Taube zu bunt, dann haut sie ab und lässt sich, wo immer sie will, nieder. Ein weiterer Vorteil der Taube ist, dass viele Menschen sie meiden, da sie ihr Dasein mit Krankheitserregern und deren Übertragung in Zusammenhang stellen. Das hilft der Taube, denn sie wird dadurch weniger vom Menschen belästigt, da man nicht unbedingt zu ihr eilt, um sie von oben bis unten abzustreicheln, wie man es mit vielen felltragenden Haustieren gerne macht.
Tauben spielen bei der Stadtgestaltung eine große Rolle, den ihr Kot ist in der Lage, das Bild einer Stadt zu verändern. Ihr weiß-grünlicher Kot verschönert so mach hässliches Monument und schenkt grauen Fassaden etwas Farbe. Taubenkot stört eigentlich nur Menschen, die eh alles stört. Solchen Menschen kann man meist nicht mehr helfen, weshalb man sich nicht unnötig mit ihnen beschäftigen sollte.
Menschen hassen Tauben allerdings nicht nur wegen ihrer Exkremente. Tauben lösen durch ihre Existenz Sehnsuchtsgefühle in den Menschen aus.
Auch der Mensch wäre gerne so frei, wie eine Taube. Er würde gerne ausschlafen, später eine kleine Runde drehen, etwas hier aufpicken oder dort etwas in den Schnabel geworfen bekommen, würde sich gerne auf einem Marktplatz fröhlich fortpflanzen, vor den Augen aller und hemmungslos auf Statuen kacken, bis es wieder Zeit wird, ins Nest zurückzufliegen, um sich dort gemütlich in die eigenen Federn zu kuscheln.
Der Mensch jedoch lebt ein Hühnerleben. Er lässt sich mästen und sehnt sich nach einer Sicherheit, die ihm nötig scheint, weil ein anderes Leben ihm viel zu abstrakt geworden ist. Er legt seine Eier jeden Tag und wartet nur darauf, dass er als Rentner endlich sterben kann. Dem Menschen geht es im Grunde nur um Eier. Ständig muss er irgendwo seine Eier legen.
Darum ist das Huhn dem Menschen so viel näher, so viel lieber als die Taube. Er kann sich mit dem Huhn identifizieren, denn er ist selbst eins. Die Taube hingegen ist das, wonach er sich sehnt, weshalb er sie entweder vergöttert oder abgrundtief hasst.
Ich bin mir sicher, Sie werden sich meiner Worte erinnern, wenn Sie das nächste Mal über den Wochenmarkt schlendern, an Stände mit Obst und Gemüse und natürlich frischen Eiern vom Bauernhof vorbeiziehen und in der Menge einen Schwarm Tauben entdecken, die hurtig über das Kopfsteinpflaster laufen und in Windeseile alles verputzen, was ihnen vor den Schnabel fällt. Und all das, ohne auch nur einen Cent zu bezahlen, ohne auch nur ein Ei gelegt zu haben.
Man muss Tauben einfach lieben!