schöner haariger georg

Georgs äußere Erscheinung war von makelloser Schönheit. Er war weder zu groß noch zu klein, weder zu dick noch zu dünn.
Sein Gesicht war markant männlich. Körperbau und Muskulatur waren harmonisch proportioniert. Wer Georg sah, konnte die Augen nicht von ihm lassen. Er war der personifizierte David von Michelangelo, nur mit deutlich größerem Glied.
Und genau wie der Marmorknabe aus Florenz war Georg glatt. Man konnte gar sagen, er war aalglatt, wenn man Marmor mit einem Fisch vergleichen möchte. Behaart war er lediglich auf dem Kopf.
Sein Haupthaar war so unglaublich voll, dass ihn die meisten Menschen dafür beneideten.
Sein Äußeres gab ihm Selbstvertrauen und hatte ihm in seinem Leben bereits so manches Türchen geöffnet.
Doch bald schon nahm Georgs Makellosigkeit einen tiefgreifenden Schaden.
Alles begann mit einem widerspenstigen Haar, welches sich in seinem linken Nasenloch befand und anstanden machte aus dem Loch herauszuwachsen.
Nicht weiter schlimm, dachte sich Georg. Von Weitem sah man es nicht. Zu Beginn zumindest.
Aber dann wurde es immer länger und das Schlimmste war, es färbte sich erst grau und dann schlohweiß.
Georg schnitt es ab. Doch es wuchs nach. Es wuchs schnell nach, verdammt schnell.
Also zupfte er es aus, nicht ohne dabei ein Tränchen zu verlieren.
Das Haar aber wuchs wieder nach. Es wuchs und wuchs. Und es wuchs so schnell, dass man ihm beim Wachsen zuschauen konnte.
Und Georg schnitt und schnitt und schnitt. Und all das Schneiden half nichts.
Das Haar wurde länger und länger.
Es wurde länger und begann sich zu wellen.
Und bald schon kam Georg nicht mehr nach, das weiße, mittlerweile gekrauste Haar aus seiner Nase abzuschneiden.
Als er kurz eingenickt war, erschöpft vom vielen Schneiden, wuchs das Haar in einer derartigen Geschwindigkeit, dass es sich um seinen Körper wickelte und ihn umgab wie einen Kokon.
Mumiengleich lag Georg auf seinem Sofa, als man ihn in seiner Wohnung fand.
Und weil der Fall so kurios war, stellte man ihn im Museum aus.
Ein weiteres Mal hatte Georg es geschafft, mit seiner Erscheinung Aufsehen zu erregen. Aber das war man ja mittlerweile von ihm gewohnt.

der urogenitalpoet

Bertram Roth war Urologe. Besonders gut war er auf seinem Fachgebiet jedoch nicht. Die Blasenspiegelung war zwar «ganz ok», insgesamt waren die meisten seiner Patienten jedoch nicht außerordentlich zufrieden mit ihm und seiner Behandlung.
Ob es an seinen dauerhaft kalten, extrem rauen Wurstfingern lag, mit denen er die Hodensäcke von Jung und Alt zu untersuchen pflegte? Sollte man den Rezessionen im Internet Glauben schenken, war dies sicherlich der Grund.
Um im hart umkämpften Urologen-Business bestehen zu können, musste sich Doktor Roth etwas einfallen lassen.
Die Werbetrommel musste gerührt werden, das wurde ihm schnell klar.
Und es dauerte nicht lange, da entdeckte der Doktor, dass sein eigentliches Talent nicht im Bereich der urogenitalen Therapie angesiedelt war.
Auf der Suche nach einem passenden Zweizeiler, den man auf Busse und Straßenbahnen hätte drucken können, landete er sofort einen Volltreffer.
«Plagt dich ein Schmerz am Hod’, geh’ hin zu Doktor Roth!», war bald auf allen öffentlichen Verkehrsmitteln der Stadt zu lesen.
Kaum aber, dass sein Reim in aller Munde war, da packte ihn ein kreatives Fieber, dass ihm die Verse nur so aus den Poren quellen ließ.
Doktor Roth war nicht mehr zu stoppen. Er reimte und reimt so oft und so lang, dass ihm kaum noch Zeit für all die urologischen Krankheitsbilder seiner Patienten blieb.
Die Patienten nahmen es dem Doktor noch nicht einmal übel.
Schnell erkannten sie, dass die Verslein ihrer Gesundheit dienlicher waren als die gewohnte urologische Behandlung, die er ihnen zuteil kommen ließ.
Mit Gedichtchen wie: «Will dir der Liebesakt nicht reifen, gibt Doktor Roth dir einen Steifen» oder «Tropft dir aus deiner Eichel Eiter, dann hilft dir Dr. Roth gern weiter» wurde er schnell zum gefeierten Dichter. Der einst so mittelmäßige Doktor wurde binnen kürzester Zeit zum Urvater der Urogenitalpoesie.
Sein Repertoire war etwas eintönig, aber unerschöpflich. Es folgte ein Gedichtband nach dem nächsten. Man überhäufte ihn mit Buchpreisen. Bald schon gab es keinen Preis im deutschsprachigen Kulturraum, den man ihm noch nicht verliehen hatte. Zu Recht, wie Feuilleton und Dichterkollegen unermüdlich zu bekräftigen wussten. Denn nichts berührte die Menschen mehr als Verse wie: «Ist dein Glied stark deformiert, Doktor Roth es operiert». Und so fand Doktor Roth schließlich einen Weg, die Menschen eindringlicher, nachhaltiger zu berühren, als es seine kalten, rauen Wurstfinger je zu tun vermochten.