Author: Robert
kein fussbreit den touristen
ameisen-strasze
mutters lampenschirm
Seit Stunden schon lag Matthias wieder beinahe regungslos auf dem Sofa und stierte den gehäkelten Lampenschirm an, welchen er kürzlich von seiner Mutter vererbt bekommen hatte. Ab und zu erhob er sich, um das WC aufzusuchen und bei der Gelegenheit aus dem Wasserhahn zu trinken.
Und dann lag er wieder auf seinem Sofa, lag und guckte immer geradeaus an die Zimmerdecke und betrachtete den Lampenschirm mit dem vergilbten Garn.
Nachdem Matthias schon eine ganze Woche vornehmlich mit Liegen und Gucken zugebracht hatte, ließ ihn sein Arbeitgeber wissen, dass er ab sofort noch mehr Zeit hatte zum Gucken und Liegen.
Am längsten hielt es noch seine Freundin mit ihm aus. Silvia hieß sie und erkannte recht bald, dass mit Matthias etwas nicht stimmte. Alle Versuche, ihren geliebten Partner zu aktivieren, blieben erfolglos.
So sehr sie auch versuchte, sich und ihre vortrefflichen Reize in Szene zu setzen, Matthias blieb schlaff und regungslos. Schlaff auf seinem Sofa, die Augen Richtung Lampenschirm.
Kurz darauf trennte sich Silvia von ihm.
Und so blieb Matthias allein. Allein auf seinem Sofa, allein mit dem Lampenschirm seiner seligen Mutter.
Er zählte die Maschen jeden Tag aufs Neue und beobachtete die Bahn, die der Schatten des Lampenschirms im Tagesverlauf an der Wand entlang zog.
Als die Nachbarn schließlich lange genug kein Lebenszeichen mehr hinter seiner Wohnungstür vernommen hatten, riefen sie die Polizei und zusätzlich den Rettungsdienst.
Gewaltsam verschafften sich die Rettungskräfte Zutritt zur Wohnung und fanden den Bewohner, wie sollte es anders sein, auf seinem Sofa liegend, an die Decke guckend vor. Mehr tot als lebendig, doch immerhin lebendig.
Als man ihn nach seinem Befinden fragte, öffnete er mühsam und kraftlos seine eingetrockneten Lippen und verkündete seinen Rettern mit schwacher Stimme: «Mutters Lampenschirm hängt nicht gut. Er muss da weg, und zwar sofort!»