Krankheit. Das schlimmste was uns der eigene Körper antun kann, ist seine eigene Unzulänglichkeit. Weil er nicht im Stande ist, Fremdeinflüssen, wie der Umwelt z.B., zu trotzen, oder weil er unseren Lebenswandel nicht verkraftet, oder weil er Gewalteinwirkungen einfach so nachgibt und so weiter und so weiter. Der grösste Feind des zivilisierten Menschen ist seine Gesundheit. Ständig muss der Bewohner eines westlichen Industrielandes auf der Hut sein, nicht im nächsten Augenblick aus dem Leben zu treten. Plagen ihn keine körperlichen Gebrechen, so ist es sein Geist, der ihn mürbe macht. Mitunter so schlimm, dass bei ihm die fantastischten Symptome zum Vorschein kommen. Dann ist die Irritation gross. Nicht nur die des Magens, oder das, was sich da am Gesäss ausgebreitet hat, vielmehr ist man irritiert, weil man doch weiss, dass es im Oberstübchen heftig klappert. Wieso dann jetzt auch noch am Herzen…oder Magen…? Fragezeichen, Fragezeichen. Der Mensch ist nie ganz gesund und aber auch nie ganz krank, das wissen wir seit Aaron Antonovsky. Doch wann sage ich mir “es ist genug”? Wann ist der Zenit an Lebensqualitätsminderung erreicht, dass ich sage “ich muss zum Arzt! Zum Notarzt, am besten!”? Die Frage schickt die Antwort vorweg. Jawohl!, sobald der Verlust an Lebensqualität die Grenzen der Toleranz überschritten hat. Das ist bei jedem unterschiedlich, individuell sozusagen. Sollte ich mit meinem Husten noch ein paar Tage warten, bevor ich einen Arzt damit belästige? Kann ich mit einem offenen Bruch noch auf die zweiwöchige Mittelmeerkreuzfahrt? Lässt sich ein Herzinfarkt wegatmen? Helfen Wechselbäder bei Darmverschluss? Wo kann man sich selbst behilflich sein und wann bedarf es einem Mediziner? Macht es Sinn noch zum Arzt zu gehen, wenn ich meine Diagnose schon von “Google” erfahren habe? Eine Antwort auf all diese Fragen ist nicht schnell gefunden. Tatsache ist, dass der Mensch auf der einen Seite sehr viel tut, um sich selbst zu optimieren, um dem Ziel der ewigen Jugend, Leistungsfähigkeit und Unsterblichkeit näher zu kommen, auf der anderen Seite ab und zu auch gerne einfach nur hemmungslos konsumiert. Wobei es sowohl den Asket, als auch den Hedonist regelmässig in die Fänge des Asklepios treibt. Der Hedonist betreibt Schindluder mit seinem Körper, weil er raucht, säuft und frisst. Der Asket hingegen pflegt seinen Leib und verfolgt aufmerksam die vermeintlichen Signale, die ihn sein gestählter Körper sendet. Er neigt zum Hypochondrismus. Je nach psychischer Verfassung, kann ihm dies schnell zum Verhängnis werden. Er dreht durch, wittert in jedem Muskelzucken sein vorzeitiges Ableben. Krankheiten machen uns Angst, denn sie zeigen uns wie endlich das Leben sein kann und wie fragil unsere Existenz ist. Wobei der Tod im Grunde ja nichts schlechtes ist. Nehmen wir z.B. einen Raucher, der mit 57 Jahren stirbt und einen der mit 90 Jahren das Zeitliche segnet. Muss doch der Neunzigjährige 33 Jahre länger die hart verdiente Kohle in Zigaretten investieren. Der Siebenundfünfzigjährige ist tot und freut sich, weil er ´ne Menge Geld spart. Der Tod macht uns Angst, weil wir in unserem Leben meist nicht viel erreichen, als hirnlos zu konsumieren oder uns selbst zu optimieren, für was auch immer. Wir haben Angst, dass wir nichts hinterlassen, als unsere Körper, die sich früher oder später in Humus auflösen. Zufrieden sterben oder eine fatale Diagnose akzeptieren kann nur der, der zufrieden ist mit seinem Leben und Schaffen. Am Ende sehen wir, ob wir wollen oder nicht, zwangsläufig immer einen Arzt, denn irgendwer muss ja schliesslich den Tod feststellen.