bürgermeister wurm

Es war einmal in einem weniger bedeutenden Dorf in einer weniger bedeutenden Region, ein Bürgermeister, der auch nur wenig bedeutend war. Dies jedoch war nicht etwa ein Mangel, sondern eine Tatsache.
Und dieser Bürgermeister war auch kein schlechter Bürgermeister.
Pflichtbewusst kümmerte er sich um die Belange der Dorfbewohner.
Und weil diese Belange eher belanglos waren, hatte er nicht sehr viel zu tun.
Gerne hätte er einmal etwas richtig “Bedeutendes” vollbracht, doch weil irgendwie alles um ihn herum so wenig bedeutungsvoll war, blieb dies ein unerfüllter Traum.
Eine Besonderheit besaß der Bürgermeister, der mit Namen “Wurm” hieß.
Wann immer Bürgermeister Wurm ein Dorf-, Schützen- oder Sportfest eröffnete und eine Rede halten sollte, überkamen ihn rhythmische Zuckungen. Manchmal so stark, dass er sich zu winden begann. Einmal ereilte ihn ein derart heftiger Anfall, dass er sich sogar zu Boden geworfen haben soll.
Das war halt nun mal so und für die meisten Dorfbewohner etwas, an das man sich schon vor langer Zeit gewöhnt hatte.
Er war eben ein nervöser Typ, unser Bürgermeister, hörte man dann die Leute sagen.
Der Dorfdoktor mutmaßte Schlimmeres. Von Epilepsie war gar die Rede. Aber von so was wollten die Bewohner nichts wissen, weil sie mit derart “neumodischem Gelumpe” nichts anfangen konnten.
Eines schicksalhaften Abends erlitt der Bürgermeister beim Verzehr einer Knackwurst einen besonders intensiven Anfall.
Seine Frau hatte es noch mit “erster Hilfe” versucht, doch vergebens.
Lang noch trauerten die Dorfbewohner ihrem Bürgermeister hinterher.
Und noch bevor ein neuer Bürgermeister gewählt werden konnte, ereignete sich etwas, was das weniger bedeutende Dorf auf lange Zeit verändern sollte.
Kurz nachdem man den Verschiedenen zu Grabe getragen hatte, trug es sich zu, dass der alte Dorflehrer Schulze in seinem Garten eine Entdeckung machte.
Beherzt hatte er seinen Spaten in ein zukünftiges Radieschenbeet gestoßen und eine Ladung Erde aus dem Boden gehoben, als er in dem Erdklumpen ein Zucken vernahm.
Was anfangs wie ein gemeiner Regenwurm schien, entpuppte sich schnell als etwas ganz besonderes.
Der aus dem Erdreich entnommene Wurm bewegte sich haargenau so wie der kürzlich verstorbene Bürgermeister, der selige Bürgermeister Wurm.
Umgehend rief der Dorflehrer eine Gemeindezusammenkunft aus, um den anderen Dorfbewohnern von seiner Entdeckung zu berichten.
In einer leeren Erbsenbüchse trug der Lehrer den erdverkrusteten Wurm ins Rathaus.
Ein jeder, der gekommen war, konnte sich von dem Wunder überzeugen und alle waren sich einig: Der Wurm in der Büchse, das war nicht irgend ein gewöhnlicher Wurm, denn so zuckte kein gewöhnlicher Wurm.
Nein, das war der Bürgermeister Wurm!
Selbst die, die vorher nichts von Reinkarnation wissen wollten, waren sich nun sicher, dass der Bürgermeister in Form dieses Regenwurms wiedergeboren wurde.
Also übergab man das Bürgermeisteramt umgehend an den neuen alten Bürgermeister – den Bürgermeister Wurm.
Und wie man es von ihm gewohnt war, leistete er seinen Dienst pflichtbewusst und zur vollen Zufriedenheit der Dorfbewohner. Zwar war der neue Dorfvorsteher die meiste Zeit ziemlich stumm, was jedoch viele der Dorfbewohner überhaupt nicht störte, so lange er bei seinen Auftritten ordentlich zuckte.
Es dauerte nicht lang, da machte das Kuriosum die Runde.
Zu erst kamen die Medien, dann die Touristen und einige Zeit später siedelten sich Firmen aus dem Bereich der Hochtechnologie an.
Die Region blühte auf und war auf einmal gar nicht mehr so unbedeutend wie einst.
Der lang gehegte Traum des alten, des verschiedenen Bürgermeisters wurde endlich Wirklichkeit.
Und wer weiß, vielleicht muss man manchmal erst als Wurm wiedergeboren werden, um erfolgreich zu sein.
Wenn ich etwas aus der Geschichte gelernte habe, dann ist es die Tatsache, dass man beim Verzehr von Knackwurst stets Vorsicht walten lassen sollten.
Schließlich hat nicht jeder das Glück, als Wurm zu reinkarnieren.

insomnie

was haelt dich wach die ganze nacht
statt augen zu nur nachtgedacht
probleme? ja, probleme

gedanken fliegen, kreuzen quer
die lider sind wie blei dir schwer
doch du kommst nicht zur ruhe

kannst nur aendern was du aendern kannst
die nacht kommt schnell, schnell kommt die angst
du wirst sie wach verbringen

herr pauli und der kebab

Müde von seinem ereignisarmen Arbeitstag im Büro machte sich Herr Pauli auf den Heimweg, den Feierabend einzuleiten.
Auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle überkam ihn plötzlich ein ausgeprägtes Hungergefühl. Sein Magen rumorte und verlangte sofort nach Nahrung. Der Schweiß schoss Herrn Pauli kalt aus den Poren, jeden Augenblick drohte er zu kollabieren. Zum Glück aber war die Rettung schon in Sichtweite.
Es trennte ihn eine Rotphase und das Überqueren einer Straße vom Döner-Imbiss «Izmir».
Mit letzter Kraft schleppte er sich ins Lokal. Mit zitternder Stimme hauchte er ein «mit allem» über die Theke.
«Mit scharf?», wollte der Verkäufer wissen.
Ein «Ja» brachte Herr Pauli jedoch nicht mehr über die Lippen, also bekam er «mit scharf».
Vor Hunger ächzend schleppte er sich an einen Tisch und begann die Alufolie vom Döner zu pulen.
Soeben wollte er genüsslich die Zähne in den Kebab schlagen, da ertönte ein schriller Hilferuf aus der mit Gemüse und Fleisch gefüllten Teigtasche.
«Nein! Nicht!», drang es erneut an Herrn Paulis Ohr.
Vor Schreck glitt ihm der Döner aus den Händen. Hatte er richtig gehört?
Außer ihm war keiner in dem Laden und der Verkäufer stand in einer Ecke und telefonierte lautstark.
War dies eine akustische Halluzination, verursacht durch akute Unterzuckerung?
Der Schreck ließ den Hunger kurz verfliegen.
Als sich Herr Pauli wieder gesammelt hatte, wagt er einen zweiten Versuch, endlich vom Döner einen Bissen zu nehmen.
Noch ehe er die Alufolienhülle des Kebab berühren konnte, gab der ein weiteres schrilles «Nein!» von sich.
«Nein, tu ‘s nicht!», befahl ihm der Döner.
Herr Pauli rieb sich die Augen. Es bestand kein Zweifel, sein Essen sprach mit ihm.
«Was?», fragte er den Döner ungläubig.
«Du sollst mich nicht essen! Kapierst du das jetzt mal?!», gab der Döner harsch zur Antwort.
Ungläubig glotzte Herr Pauli die Fladenbrottasche an.
«Mann, du bist echt Panne! Mir reichts jetzt! Bring mich lieber hier weg, der Ort ist mir zuwider!», befahl ihm der Döner.
Hunger spürte Herr Pauli nun nicht mehr. Verwirrt, wie er nun war, tat er umgehend, wie ihm geheißen.
Er verhüllte den Döner so gut es ging mit der zerrissenen Alufolie, steckte ihn sich vom Verkäufer unbemerkt in die Manteltasche und verließ den Dönerladen umgehend.
Den Heimweg legte Herr Pauli im Sprint zurück.
Zu Hause angekommen, legte er den Döner behutsam auf den Küchentisch und sprach ihn mit einem zaghaften «Hallo» an.
«Was Hallo?! Denkst du, ich schlafe?», bekam Herr Pauli zu hören.
«Willste mich hier so einfach aufm Küchentisch liegen lassen?! Mir is’ langweilig. Ich will fernsehen! Mach’ die Glotze an!», befahl er seinem Besitzer.
Und Herr Pauli tat, was der Döner es von ihm verlangte.
Er platzierte ihn auf dem Sofa und schaltete das gewünschte TV-Programm ein.
Zuerst wollte er Nachrichten sehen, dann folgten einige Stunden Abendprogramm, darunter anderthalb Krimis und kurz nach Mitternacht ein weiteres Mal Nachrichten.
Bis zum Frühstücksfernsehen hielt der griesgrämige Kebab durch, dann schlief er ein.
Herr Pauli hatte die ganze Nacht kein Auge zu gemacht. Voller Angst hatte er dem Imbiss beim Fernsehgucken zugesehen. Nun war aus der Alufolie ein sanftes Schnarchen zu vernehmen.
Sogleich kam er zu dem Entschluss, dass mit seinem Verstand etwas nicht stimmen musste.
Vorsichtig nahm er den Döner vom Sofa und begab sich mit ihm zu seinem Hausarzt.
Der Mediziner erkannte den Ernst der Lage und zitierte Herrn Pauli umgehend in sein Sprechzimmer.
Aufmerksam lauschte der Doktor den Ausführungen seines Patienten nicht ohne ab und an eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen.
Noch ehe Herr Pauli zu Ende gesprochen hatte, erhob sich der Arzt von seinem Stuhl, machte mit der Hand eine Kreisbewegung, um dem Patienten zu verdeutlichen, er solle weiterreden und schritt zu einer Stehlampe in der Ecke seines Sprechzimmers.
Als Herr Pauli fertig geschildert hatte, zog er den noch immer leisen schnarchenden Kebab aus seiner Manteltasche.
«Hier, Herr Doktor, sehen Sie selbst!», flehte Herr Pauli seinen Hausarzt an.
Der zog ein weiteres Mal die Augenbraue in die Höhe, wandte sich dem Lampenschirm zu und sprach: «Haste gehört, Egon?! Schon wieder einer, der meint, sein Essen würde mit ihm reden».